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Alte Vorstellungen - Neues China?

Rituale und Volksglauben spielen eine sehr grosse Rolle!

Viele Chinesen erscheinen auf den ersten Blick sehr „verwestlicht“ und modern, aber trotzdem spielen Zahlen, Rituale und Traditionen eine sehr große Rolle im chinesischen Alltag. Wenn man sich in China für eine Zahl entscheiden muss, dann wird die 8 immer die erste Wahl sein. Auch werden immer wieder Wahrsager befragt, die einem den richtigen Weg zeigen sollen. Des Weiteren spielt das Heute eine größere Rolle, als das Morgen. Woher kommen diese kulturellen Besonderheiten?

Ritualisierung
Viele Handlungen und Prozesse des täglichen Lebens unterliegen traditionellen Vorschriften. Abweichungen gegen die Norm werden oft gemieden. Spontanität, Improvisation, Originalität oder Selbstverwirklichung sind noch immer sehr verpönt in China. Der erhöhte Konformitätsdruck und die Angst vor dem Gesichtsverlust sind elementare Züge, die die chinesische Ritualisierung unterstützen.

Als Beispiel kann man das Überreichen von Visitenkarten nennen oder das Schreiben von chinesischen Schriftzeichen. Jedes Schriftzeichen wird nach einer vorgebenden Abfolge gezeichnet. Weicht man von dieser „Norm“ ab, trifft man direkt auf Ablehnung und wird belehrt. Obwohl ein Schriftzeichen, welches nach einer anderen Reihenfolge gezogen wurde, genauso so gut ist wie das genormte Schriftzeichen. Es muss der Vorgabe gefolgt werden! Ein weiteres Ritual besteht in diesem Zusammenhang mit dem Meister, der einem Wissen vermittelt. Wo in westlichen Kreisen DIY-Bücher oder die Methode „Learning by Doing/Trying“ hoch im Kurs stehen, da man sich dadurch neue Fähigkeiten alleine beibringen kann, steckt diese Art des Lernens noch in den Kinderschuhen in China. Hier muss das Erlernen neuer Fähigkeiten über einen Meister geschehen, der einem den richtigen Weg und die richtigen Schritte zeigt. Diese kopiert man dann als Schüler und ritualisiert diese. Das „Kopieren“ von einem Meister gilt in China als sehr angesehen. Dies können gewisse Arbeitsschritte oder ganze Kunstwerke sein, die genauestens reproduziert werden. Dieses „Meister-und-Kopier-Prinzip“ sind einer der Gründe, warum die Produktpiraterie so erfolgreich in China ist.

Aberglaube
Jede Kultur hat ihren eigenen einzigartigen Aberglauben (迷信míxìn), und China ist da nicht anders. Viele Chinesen erscheinen auf den ersten Blick sehr „verwestlicht“ und modern. Trotzdem werden viele immer noch Hilfe bei einem Wahrsager suchen, wählen besondere Zahlen aus, die einem Glück bringen sollen. Auch werden sehr oft Feng-Shui-Experten engagiert. Feng-Shui nehmen viele Chinesen sehr ernst, deshalb das Haus oder das Büro in der richtigen Weise arrangiert werden, um Glück und Erfolg im Leben zu haben.

Wenn es um viel Glück geht, ist die magische Zahl in China die 8. Man kann dieser Zahl in China überall begegnen. Warum? Die Acht klingt dem Wort für Wohlstand/Reichtum (八 bā / 發 fā) ähnlich. Wenn man sich an die olympischen Spiele in Peking erinnert, dann ist es kein Zufall, dass die Spiele um 8:08 Uhr am 8. August 2008 begannen. Das Starten zu dieser exakten Zeit sollte allen viel Glück bringen. Wenn Personen in China Telefonnummern, Mobilfunknummern, Hausnummern, wichtige Termine oder andere Nummern wählen, ist die 8 in der Regel die erste Wahl. Dafür wird dann auch gerne tief in die Tasche gegriffen.

Wenn es aber mehr um den Aberglauben geht, dann wird man trotz der Moderne in China, nur selten einen Chinesen antreffen, der sich bei Dunkelheit die Fingernägel schneiden würde. Dies passiert nur bei Tageslicht. Nach einer alten Überlieferung können bei Nacht über die frische „Schnittstelle“ böse Geister in den Körper eindringen und das möchte man ja gerne vermeiden.

Ein weiteres Beispiel für Aberglauben ist die Yuè zi – Ein Monat der postnatalen Inaktivität. Die Geburt ist ein besonderes Ereignis, das überall auf der Welt anders zelebriert wird und mit verschiedenen Traditionen in Verbindung steht. Beim “Yuè zi (月子)” nimmt die Mutter einen Monat Auszeit in China. Jetzt denkt man wahrscheinlich, dass das Sinn macht, wenn man es nach der Geburt etwas ruhiger angeht, richtig? In China ist die Yuè zi aber eine Zeit voller Vorschriften, Vorgaben und Verboten für die frischgebackene Mutter. Den Müttern ist es nicht erlaubt das Haus für einen Monat zu verlassen. Außerdem ist es vorgeschrieben was die Mutter essen darf und was nicht. In der Regel ein fader Eintopf aus Reis und Schweinefleisch. Darüber hinaus dürfen die Mütter einen ganzen Monat nicht duschen, da dies als Erkältungsrisiko gilt. Die Argumentation hinter Yuè zi ist, dass Mütter kurz nach der Geburt besonders anfällig für Erkältungen und Krankheiten sind. Manche gehen sogar so weit, dass die neuen Mütter ihre Zähne nicht putzen dürfen. Das Yuè zi ist in den meisten chinesischen Familien noch immer ein Pflichtprogramm und wird von der Großmutter verlangt, auch wenn viele Richtlinien und Vorgehensweisen des Yuè zi heute überholt erscheinen.

Volksglauben
Es gibt eine Vielzahl von chinesischen Volksglauben und eine ausgeprägte Geisterfurcht, an die sehr viele Chinesen weiterhin glauben und das eigene Leben oftmals danach ausrichten. Um einen besseren Überblick über diesen sehr tief verwurzelten Volksglauben zu bekommen und damit man als “Westler” eine bessere Vorstellung davon bekommen kann, haben wir die wichtigsten Aberglauben und Geisterfurcht in der chinesischen Welt aufgelistet:

  • Man glaubt, dass wenn ein Hund in der späten Nacht für ein paar Stunden heult, dass das bedeutet, dass jemand irgendwo gestorben ist.
  • Es ist ein anderer abergläubischer Glaube der Chinesen, dass, wenn man einen Traum von Zähnen oder Schnee hat, es eine Warnung ist, dass die eigenen Eltern bald sterben werden.
  • Wenn ein Baby ohne Grund weint, glaubt man, dass es Geister gibt von denen das Kind gestört wird.
  • Ein weiterer fest verankerter Aberglaube ist es, dass es die eigene Familie ruinieren würde, wenn beim Bau des eigenen Hauses, dieses nach Norden und nicht nach Süden ausgerichtet wird.
  • Wenn man eine Person heiratet, die entweder drei oder sechs Jahre älter oder jünger ist als man selbst, dann wäre das sehr schlecht und ein Zusammen würde Pech bringen.
  • Die Chinesen glauben, dass das Schneiden von Zehennägeln oder Fingernägeln in der Nacht Geister anlocken würde und diese dadurch ungehindert in den Körper eindringen können.
  • Ein anderer populärer Glaube ist, dass, wenn man eine Schildkröte als Haustier hat und diese einschließt, es das eigene Geschäft und Glück ruinieren wird, denn die Schildkröte wird das eigene Geschäft verlangsamen. Deshalb sollte man darauf achten, dass die eigenen Schildkröten genug Auslauf haben.
  • In einem anderen chinesischen Aberglauben fegen die Chinesen während des Neujahrsfests nicht, denn wenn man das tun würde, würde man das ganze Glück hinausfegen.
  • Das Essen von Nudeln in China kann das Leben verlängern, so der Aberglaube. Desto länger die Nudeln in der Suppe sind, desto besser für ein langes Leben. Wer seine Nudeln zerschneidet, der wird sein Leben verkürzen.
  • Während der Schwangerschaft darf die Schwangere nicht in Kontakt mit Hunden kommen, dies sei schädlich für das ungeborene Kind. Ein Grund warum der Familien Hund beim Beginn der Schwangerschaft einfach auf die Straße gesetzt wird.

Diesseitigkeit
Eine sehr ausgeprägte Ausrichtung der chinesischen Kultur liegt auf dem „Hier und Jetzt“ sowie dem konfuzianischen „Diesseits-Prinzip“. Während in den westlichen Religionen der Fokus eher auf ein besseres Leben nach dem Tod besteht – „Jenseits-Prinzip“, wünscht man sich als Chinese lieber ein langes Leben und Reichtum. Auch spricht man in China nicht über den Tod, da dies ein Tabuthema ist. Umso mehr steht die Langlebigkeit des jetzigen Lebens im Fokus. Kaum ein anderer Begriff hat so viele Symbole in China wie die “Langliebigkeit”. So stehen zum Beispiel der Hirsch, lange Nudeln zum Geburtstag, der Pfirsich oder Kranich für die Langlebigkeit.

Obwohl das Thema Tod in der chinesischen Kultur gemieden wird, gibt es trotzdem einen sehr ausgeprägten Ahnenkult in China. Hierbei werden vom „Stammhalter“ zeremoniell Opfergaben verbrannt, die den Ahnen im Jenseits zugutekommen sollen. Es werden Papiergeld, Papierhandys, Papierautos oder was für die Ahnen noch so nützlich sein kann verbrannt. Dies dient aber primär als Vorbeugung und der Abwehr gegen die Seelen der Verstorbenen und nicht der Verehrung. Denn wenn die Ahnen unzufrieden sind, dann könnten diese im „Hier und Jetzt“ auftauchen und für Ärger sorgen. Dies muss man auf jeden Fall vermeiden und deshalb ist auch ein männlicher Nachkomme in China so wichtig, weil nach altem Glauben der Ahnenkult nur von einem Sohn vollzogen werden kann.

Durch die Diesseitigkeit und durch negative Erfahrungen in der jüngeren, chinesischen Geschichte (Hungersnöte, Missernten, Bürgerkriege, etc.) lebt man in China lieber im Heute und plant ungern weit in die Zukunft. Auch stehen materielle Wünsche im Vordergrund. Man wünscht sich primär Reichtum und eine einträgliche Stellung sowie einen Sohn oder „zehntausendfaches“ Glück. Die ausgeprägte Wertschätzung von Essen und der demonstrative Konsum spiegeln auch dies wieder. Kurzweiliger Erfolg und das „schnelle Geld“ stehen oftmals im Vordergrund, da man sich der Zukunft nie ganz so sicher sein kann.

Autor: Daniele Bardaro